2. Umgang mit Stress und negativen Gefühlen

Lebenskompetenz zeigt sich in diesem Bereich vor allem im effektiven Umgang mit belastenden Situationen. Über das Erproben und Bewerten neuer Bewältigungs- und das Erlernen von Entspannungstechniken lernen die Kinder wirksame Strategien zum Umgang mit Stress und negativen Emotionen wie Angst und Ärger kennen. Stress, Angst und negative Emotionen entstehen, wenn eine Situation als bedrohlich eingeschätzt wird und die eigenen Ressourcen als nicht ausreichend beurteilt werden. Daher ist es wichtig, dass den Kindern ihre eigenen Ressourcen verdeutlicht und Handlungsstrategien (darunter wird auch bewusste Entspannung als wesentliches Element verstanden) für angstvolle oder stressige Situationen vermittelt werden. Viele Situationen sind dann keine Belastung mehr, sondern eine Herausforderung.

Lernziele:
Die Kinder sollen
•  lernen, dass man Ängste nicht verdrängen, sondern darüber sprechen soll,
•  wissen, dass es im Leben nichts gibt, vor dem man ständig Angst haben muss,
•  erfahren, wie man mit Ängsten, negativen Gefühlen und Stress umgeht,
•  Handlungsstrategien für stressige oder angstvolle Situationen kennen lernen,
•  lernen, bedrohliche Situationen altersadäquat zu erkennen, einzuschätzen und auszudrücken, und
•  lernen, dass sich Stress mit bewusster Entspannung bewältigen lässt.

 

„Bauchweh-Gefühle“

Material: „Taffy & Nono“-Spiel-Ball

Methodische Hinweise: Bevor Kinder in der Lage sind, Stress und negative Gefühle zu bewältigen, müssen sie zunächst in die Lage versetzt werden, negative Emotionen (bei sich und anderen) als solche zu erkennen und auszudrücken. Die Kinder stehen im Kreis; eines wirft den Ball in die Runde. Das Kind, das den Ball fängt, soll versuchen, einen der folgenden Sätze zu beantworten: „Angst ist wie ...“ (z. B. „... Frösche im Bauch zu haben“) oder „Wut ist wie ...“ (z. B. „... ein Feuer“).

Es steht der Erzieherin frei, nach jedem Kind oder nach bestimmten Intervallen einen Rollentausch vorzunehmen. Wichtig ist auf jeden Fall, dass nach dem Spiel genügend Zeit für eine Reflexion bleibt. Wie war es, über Angst und Wut zu sprechen? Hattet ihr schon einmal Angst? Woran merkt ihr, dass ihr Angst habt? In welchen Situationen hattet ihr schon Angst? Wann seid ihr das letzte Mal so richtig wütend gewesen? Gibt es spezielle Situationen, die euch wütend machen?

 

„Stell dir vor, ...“

Material: keines

Methodische Hinweise: Die Kinder sitzen im Kreis und die Erzieherin stellt den Kindern folgende Fragen, die jeweils von Freiwilligen beantwortet werden: Stell dir vor, dein Geschwisterchen unterbräche dich ständig beim Malen eines Bildes? Stell dir vor, du hättest dein Lieblingsspielzeug verloren? Stell dir vor, vor dir steht ein großer Hund, der dir den Weg versperrt? Stell dir vor, du müsstest auf Schiern einen sehr steilen Hang bezwingen?
Wenn die Kinder merken, dass es bei diesem Spiel um Situationen geht, die sie aus ihrem Alltag kennen, entwickeln sie einen sportlichen Ehrgeiz, selbst Beispiele zu erfinden. Sie sind neugierig, wie sich ihre Spielkameraden in bestimmten Situationen verhalten würden, und nützen das „Theoretisieren“ über Stresssituationen zum Vergleich untereinander.

 

„Angst hat jeder“

Material: 8 Bild-Karten BA 1 – 8

Methodische Hinweise: Angst ist ein Gefühl, das jeder kennt, wobei jedoch das Äußern von Ängsten kaum jemandem zugestanden wird. Am besten illustriert das der häufig verwendete Satz: „Du brauchst doch keine Angst zu haben“; eine sinnlose Aufforderung, denn Angst reduziert sich nur dann, wenn sie geäußert werden kann. Kinder sollen daher ihre Ängste mitteilen dürfen und wissen, dass es auch klug ist, auf diese Empfindung zu hören.

Angst ist nämlich ein unter Umständen lebenserhaltendes Signal, ein Ratgeber, der uns vor Schäden schützen kann. Wer sich vor einem herannahenden Auto fürchtet, ängstigt sich zurecht, denn von einem Auto kann Gefahr ausgehen. Diese ganz rationale Angst bewirkt, dass man der Gefahr mehr Aufmerksamkeit widmet und sich eher darauf konzentriert, ihr zu entgehen; sie ist sinnvoll, kann aber vermindert werden, indem man sich z. B. an die Verkehrsregeln hält.

Es gibt aber auch irrationale Angst, deren vor Schaden warnende Signale übertrieben empfunden werden (z. B. Angst vor Spinnen oder Mäusen, die ja keine Gefahr darstellen). In beiden Fällen ist es wichtig, dass Kinder mit Erwachsenen, zu denen sie Vertrauen haben, darüber sprechen, denn nur im Gespräch können sie ihre Ängste abbauen.

Die Erzieherin bespricht mit den Kindern die auf den acht Karten dargestellten Situationen: Vier Bilder thematisieren irrationale Ängste (vor Mäusen, Spinnen, Gespens-tern und Knecht Ruprecht / Krampus / Perchten); vier weitere zeigen Beispiele für reale Ängste (im Straßen-verkehr, vor dem Wasser und vor der Dunkelheit sowie vor einer Gruppe zudringlicher, älterer Kinder).

Anhand der zuletzt erwähnten Situation, die typisch für das Ausnutzen eines Dominanzverhältnisses ist, erläutert die Erzieherin, wie zwiespältig sie sich für das kleine Kind in der Mitte der Kindergruppe darstellt: Ohne Hilfe ist es real schwächer und kann wenig ausrichten.

Manchmal hilft es nun, mutig zu sein und sich nicht einschüchtern zu lassen, genauso aber kann dies auch gefährlich sein, weil es die Stärkeren zu noch mehr Aggression reizt. Wichtig ist es, den Kindern klar zu machen, dass sie in so einem Fall von ihren Ängsten ihren Eltern oder der Erzieherin erzählen, damit sie beschützt werden können, wenn Stärkere sie bedrohen.

 

„Mein Körper kommt zur Ruhe“

Material: keines

Methodische Hinweise: Die Kinder laufen solange im Garten oder im Bewegungsraum, bis sie außer Puste kommen. Danach setzen sie sich hin und horchen, was die Erzieherin ihnen sagt. Deren Aufgabe besteht nun darin, durch gezielte Anweisungen die Kinder zu veranlassen, ihren Körper bewusst wahrzunehmen und wieder zur Ruhe zu finden.

Die Erzieherin sagt: „Setzt euch jetzt hin, schließt eure Augen und seid ganz still. (Pause) Hört auf meine Anweisungen. (Pause) Ihr habt etwas Abenteuerliches erlebt und ihr seid nach Hause gelaufen, um jemanden davon zu berichten. (Pause) Ihr seid noch völlig außer Puste, und weil ihr soviel erlebt habt, wisst ihr gar nicht, womit ihr zu erzählen beginnen sollt. Daher legt ihr die Arme ganz entspannt in euren Schoß, ihr holt kräftig Luft und atmet ganz lange und bedächtig aus. Diesen Vorgang wiederholt ihr dreimal (zur Unterstützung der Kinder macht die Erzieherin die Übung vor). (Pause) Danach überlegt jeder für sich, wie das Abenteuer angefangen hat. Noch einmal tief einatmen und ausatmen. (Pause) Jetzt überlegt ihr, was so abenteuerlich war. Wieder tief ein- und ausatmen. (Pause) Zum Abschluss versucht ihr, in Gedanken das Erlebte zu formulieren. (Pause) Wenn ihr glaubt, darüber sprechen zu können, dann öffnet eure Augen.“

Nach dieser Entspannungsübung muss so viel Zeit bleiben, dass die Kinder über ihre Erfahrungen während des Spieles sprechen können. Sie sollen einerseits die Möglichkeit haben, ihre Fantasien über Abenteuer zu artikulieren. Welche Abenteuer habt ihr im Geist erlebt? Wem ist es schon einmal so ergangen, dass er vor lauter Atemnot nicht imstande war, sein Erlebtes zu berichten? usw. Andererseits sollen die Kinder darüber diskutieren, wie sich ihr Körper (Herzschlag, Puls, Atem etc.) während der Entspannungsphase angefühlt hat bzw. ob sie eine Veränderung gespürt haben.

 

„Stille“

Material: keines

Methodische Hinweise: Ziel dieses Spieles ist, die Kinder für Stille zu sensibilisieren. Lärm wird oft als hörbarer Abfall bezeichnet, der heutzutage nicht nur von Fahrzeugen, Arbeitsmaschinen, Sport-, Spiel- und Tonwiedergabegeräten im Übermaß produziert wird, sondern auch im Umgang miteinander belastend auftritt. Eine Ursache dafür, dass der Mensch die Gefahren und Auswirkungen der permanenten akustischen Umweltverschmutzung noch nicht ausreichend zur Kenntnis nimmt, liegt im eklatanten Ungleichgewicht zwischen der Bedeutung, die er dem Sehen und jener, die er dem Hören oder seinen anderen Wahrnehmungsfähigkeiten beimisst. Gewohnheitsmäßig dominieren die visuellen Eindrücke, während die übrigen Sinnesempfindungen unterbewertet bleiben.

Die längere Zeit dauernde Einwirkung von Lärm kann vor allem vegetativ-psychische Veränderungen (Lärm-syndrom) hervorrufen, die sich u. a. in Nervosität, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Verdauungsstörungen, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und allgemeinem Leistungsabfall äußern. Außerdem beeinträchtigt Lärm die Erholung, fördert Aggressionen, behindert die sprachliche Kommunikation und erzwingt Änderungen des Wohn- und Freizeitverhaltens.

Dieses Spiel eignet sich besonders dann, wenn Kinder sehr unruhig und laut sind oder wenn sie Streit haben. Die Erzieherin fordert sie auf, sich einen Platz in der Klasse zu suchen und sich ganz ruhig hinzusetzen oder hinzulegen. Danach sollen die Kinder die Augen schließen und ruhig atmen.

Die Aufgabe besteht nun darin, Geräusche wahrzunehmen, die von draußen – also außerhalb der Klasse – zu hören sind. Dazu muss es aber in der Klasse sehr leise sein. Jedes Kind versucht nun, sich so viele Geräusche wie möglich zu merken und diese dann in der abschließenden Besprechungsrunde aufzuzählen. Über die Konzentration auf das, was draußen passiert, nehmen die Kinder auch bewusst Geräusche im Raum wahr, was wiederum bewirkt, dass sie sich gegenseitig motivieren, leise zu sein. Zu vermittelnder Inhalt dieses Spieles ist es, dass die Eigenschaft Stillsein genauso eine Bedeutung hat wie Stärke, Lautsein oder Bewegung.

 

„Meine Muskeln und ich“

Material: keines

Methodische Hinweise: Dieses Spiel eignet sich sehr gut, um seinen Körper bzw. seine Muskeln und um bewusst das Gefühl der Entspannung wahrzunehmen. Die Kinder legen sich auf den Boden und folgen den verschiedenen Anweisungen der Erzieherin. Sie

•  sollen die Hände zu Fäusten ballen und solange angespannt halten, bis die Erzieherin bis fünf gezählt hat – danach lassen die Kinder die Anspannung langsam los;
•  spannen die Oberarmmuskeln ganz fest an und beugen dabei die Unterarme, als würden sie mit jemandem „Arm drücken“ – nach 5 Sekunden wieder entspannen;
•  schauen ganz grimmig, als hätten sie in eine Zitrone gebissen – bis 5 zählen und danach entspannen;
•  drücken den Nacken ganz fest auf den Boden – wieder bis 5 zählen und entspannen;
•  drücken den Bauch ganz weit heraus, so dass eine richtige Kugel entsteht, bleiben eine Weile in dieser Haltung und atmen normal weiter; dann ziehen sie den Bauch ganz fest ein – bis 5 zählen, danach entspannen;
•  machen nun ein Hohlkreuz – nach 5 Sekunden entspannen;
•  ziehen die Beine an und spannen die Oberschenkel ganz fest an, als wollten sie etwas wegdrücken – bis 5 zählen und entspannen.

Nach diesen Übungen bleiben die Kinder noch einen Moment liegen und genießen die Ruhe. Die Erzieherin motiviert sie, an etwas Schönes, das sie mögen, zu denken. Sie können sich z. B. vorstellen, über eine Frühlingswiese im Morgentau zu spazieren und den zwitschernden Vögeln zuzuhören.

 

„Wo ist das Tortenstück geblieben?“

Material: 4 Bild-Karten BS 1 – 4

Methodische Hinweise: Viele Menschen wurden in ihrer Kindheit mit den in der christlichen Tradition wurzelnden Begriffen Schuld – Sünde – Sühne – Buße unter Druck gesetzt. Sie wollen es daher heutzutage nach Möglichkeit vermeiden, Kinder mit solchen belastenden Schlagworten zu konfrontieren. In der Präventionsarbeit bildet jedoch gerade die Auseinandersetzung mit dem Thema Schuld einen wichtigen Schwerpunkt, der nicht vernachlässigt werden darf.

Das natürliche Bedürfnis des Kindes nach Zärtlichkeit und körperlicher Nähe wird in Fällen von sexuellem Missbrauch von den Tätern oft uminterpretiert und als Rechtfertigung der illegalen Kontakte mit dem Kind vorgebracht. Die missbrauchten Kinder entwickeln meistens massive Schuldgefühle, weil die Täter bei den Opfern den Eindruck erwecken, sie seien an den Übergriffen aktiv beteiligt und die eigentlich Schuldigen am Geschehen.

Die Erzieherin erklärt die auf den Karten dargestellte Bildgeschichte: Taffy und Nono werden von ihrer Mutter zu Unrecht beschuldigt, ein Stück der für Papis Geburtstag vorgesehenen Torte vernascht zu haben. Erst als sie gemeinsam Papi dabei entdecken, wie er sich das vermisste Tortenstück schmecken lässt, löst sich das Missverständnis auf.

Die Erzieherin erläutert den Kindern, dass die Frage „Wer ist schuld?“ oft nicht leicht zu beantworten ist: Papi hat zwar das Tortenstück gegessen, ist er aber deshalb auch an dem Missverständnis schuld? Er ahnte vermutlich nicht, dass die Torte als Geburtstagsüberraschung für ihn bestimmt war und dass Mami sie noch mit Kerzen verzieren wollte. Taffy und Nono wiederum hatten keinen Beweis für ihre Unschuld, als ihre Mami sie vorschnell beschuldigte. Erst als diese sieht, dass Papi der „Übeltäter“ ist, erkennt sie auch, dass Taffy und Nono unschuldig sind.

Die Kinder sollen sich in die Sichtweise aller Beteiligten hineindenken und darüber diskutieren, wie leicht es geschehen kann, dass jemand zu Unrecht beschuldigt wird und Vorwürfe „einstecken“ muss. Sie sollen erkennen, wie leicht etwas falsch beurteilt wird und wie schwierig es manchmal ist, Recht zu bekommen, und wissen, dass sie jemandem, dem sie vertrauen, von ihren Schuldgefühlen erzählen können, wenn diese das Ergebnis eines Unrechts sind.

 

„Rollenspiel“

Material: keines (ev. passende Masken)

Methodische Hinweise: Die Kinder spielen in Anlehnung an die Bildgeschichte „Wo ist das Tortenstück geblieben?“ ein Rollenspiel. Gemeinsam wird überlegt, welches Erlebnis aus dem Alltag einer Familie sie spielen wollen. Nachdem die Rollen (und ggf. die Masken) an die Schauspieler verteilt sind, untermalen die Kinder ihre emotionalen Darstellungen mit Geräuschen, Ausrufen und Gestik. Rollen (und ggf. Masken) wechseln nach einiger Zeit.